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Formteile aus Kunststoff sind in aller Regel speziell auf die jeweilige Anwendung am entsprechenden Einsatzort eingestellt. Meist stehen dabei die Einbausituation in der Baugruppe und die Belastungen, denen die Formteile im Betrieb standhalten müssen, im Fokus. Aber es gibt einen wesentlichen Schritt zwischen der Entwicklung und der Anwendung, der oft zu wenig Beachtung findet. Dieser Schritt ist die Fertigung im Spritzgussverfahren.

Materialcharakterisierung mithilfe von pvT-Daten

Genau an dieser Stelle setzt die Materialcharakterisierung zum Erstellen eines Datensatzes für die Simulation des Fertigungsprozesses an:

Fehler sind teuer

Damit ein Kunststoffformteil für den Fertigungsprozess optimiert ist und wir gleichzeitig überflüssige Korrekturen oder Anpassungen am Spritzgusswerkzeug vermeiden können, ist eine möglichst genaue Spritzgusssimulation notwendig. Sie kann aber nur dann gelingen, wenn sorgfältig ermittelte Materialdaten vorliegen.

Denn die Ergebnisse einer Simulation können nur so gut sein wie ihr Input.

Eine frühzeitige, gewissenhafte und genaue Betrachtung des ganzen Herstellungsverfahrens, angefangen schon während der Entwicklungsphase, beugt möglichen Fehlern vor. Auf diese Weise lassen sich sowohl Zeit als auch Kosten einsparen.

Deutlicher wird dieser Aspekt, wenn wir uns die Zehner-Regel der Fehlerkosten vor Augen führen. Diese Regel besagt, dass ein Fehler in den fortlaufenden Phasen umso teurer wird, je später er auffällt. Dabei multiplizieren sich die Kosten jeweils um den Faktor 10.

Zehner-Regel

Das pvT-Verhalten als wichtige Größe

Das pvT-Verhalten von Kunststoffen – pvT steht für Druck-Volumen-Temperatur – beschreibt das spezifische Volumen als Funktion, die von der Einwirkung von Druck und Temperatur abhängt.

Verarbeiten wir Kunststoffe im Spritzguss, spielt das pvT-Verhalten eine maßgebliche Rolle:

  • In der Füllphase bleibt die Temperatur konstant, während der Druck steigt. Dadurch verringert sich das spezifische Volumen.
  • In der Nachdruckphase bleibt der Druck gleich, während die Temperatur sinkt. Das spezifische Volumen nimmt ab. Am Ende dieser Phase erstarrt der Anguss.
  • Im Halte- und Kühlabschnitt erstarrt die Schmelze vollständig. Der Druck sinkt stetig, bis der Umgebungsdruck erreicht ist. Das spezifische Volumen verändert sich nicht.
  • Während der Bauteilschwindung zieht sich das Bauteil zusammen. Am Ende dieser Phase ist die Entformungstemperatur erreicht und das Bauteil kann entnommen werden.
Mehr informationen:  Thermische Analyseverfahren für Polymermischungen aus Abfällen

Die Messung von pvT-Daten

Um die pvT-Daten zu ermitteln, kommen zwei verschiedene Messmethoden infrage, nämlich isobar und isotherm:

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  • Bei einer isobaren Messung bleibt der Druck auf die Materialprobe konstant, während die Schmelze bei einer gleichbleibenden Geschwindigkeit abgekühlt wird. Wenn der unterste Temperaturwert erreicht ist, wird die nächste Druckstufe angesteuert.
  • Bei einer isothermen Messung wird der Druck auf die Probe bei gleichbleibender Temperatur schrittweise erhöht. Die nächste Temperaturstufe wird angesteuert, wenn alle Druckstufen erreicht sind.

Die Praxis zeigt, dass nur eine isobare Prozessführung die Vorgänge im Spritzgussverfahren tatsächlich abbilden kann. Im Unterschied dazu ist eine isotherme Messung zu weit vom Verfahren entfernt. Sichtbar werden die unterschiedlichen Messmethoden im spezifischen Volumen.

Denn das schnellere Abkühlen bei einer isobaren Messung hat zur Folge, dass sich weniger Kristalle bilden. Dadurch sind die Dichte geringer und das spezifische Volumen höher. Ein langsames Abkühlen hingegen lässt mehr Kristalle entstehen. Das führt dazu, dass die Dichte steigt und sich das spezifische Volumen verkleinert.

Allerdings spielt bei einer messtechnischen Erfassung von Daten nicht nur das Messverfahren eine Rolle. Genauso wichtig sind die Abtastrate und die Generierung von Datenpunkten. Schauen wir uns den Großteil der verfügbaren Materialdatensätze an, zeigt sich schnell, dass es oft nur sehr wenige Datenpunkte gibt und die Angabe, ob isobar oder isotherm gemessen wurde, fehlt.

Der Einfluss der pvT-Daten auf die Simulation

Das Materialverhalten mithilfe von pvT-Daten zu beschreiben, ist für die Spritzgusssimulation maßgeblich. Denn die Daten bilden ab, wie sich das Volumen des Kunststoffs im Hohlraum des Werkzeugs verhält, wenn verschiedene Druckstufen und Temperaturen einwirken. Dieses Wissen können wir sowohl mit Blick auf das Füllverhalten als auch hinsichtlich von Schwindung und Verzug nutzen.

Die pvT-Daten unterscheiden sich nicht nur deutlich in der Messdauer:

  • isobare pvT-Daten: 13 Stunden
  • isotherme pvT-Daten: 48 Stunden
  • marktüblich-reduzierte isotherme pvT-Daten: 4 Stunden
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Bei vier Simulationen mit diesen pvT-Daten, wobei als vierte Messgröße ein validierter Datensatz zur Anwendung kommt, zeigt sich, dass der Spritzdruck bei einer Simulation mit marktüblich-reduzierten isothermen Daten überschätzt ist.

Außerdem birgt eine verringerte Abtastrate bei der pvT-Messung die Gefahr, dass das Druckverhalten im Simulationsergebnis falsch abgebildet wird. Problematisch ist das vor allem deshalb, weil ein zu hoch eingeschätzter Druckbedarf dazu führen kann, dass das Schwindungs- und Verzugsverhalten unterschätzt wird.

Schlussfolgerung

Nehmen wir die eben beschriebenen Erkenntnisse als Grundlage, wird klar, dass es für die Simulation von Spritzgussverfahren entscheidend ist, die pvT-Daten präzise zu erfassen und anzuwenden.

Erinnern wir uns an die Zehner-Regel der Fehlerkosten zurück, wird offensichtlich, wie hoch die Änderungskosten ausfallen können, die ein Spritzgusswerkzeug verursachen kann, das unter fehlerhaften Simulationsannahmen gebaut wurde.

Solche Mehrkosten lassen sich ebenso wie die damit verbundene zeitliche Verzögerung vermeiden, wenn wir die digitale Möglichkeit einer sorgfältigen Materialcharakterisierung mithilfe von pvT-Daten nutzen.